Entwicklung und Test der Apparaturen


Abnahme-, Qualifikations- und Übergabeablauf

Laut österreichisch-sowjetischem Vertrag waren die folgenden fünf Einheiten (Modelle) pro Experimentgerät zu entwickeln, zu testen und zu liefern:

  • ein Masse- und Abmessungsmodell (MAM) für mechanische Integrationstests im Bodenmodell der Raumstation MIR, welches genau der Flugeinheit entsprach,
  • ein Technologisches Modell (TM) für Qualifikations- und Integrationstests in einem elektrischen Umfeld gleich dem der Raumstation wegen der mechanischen Konstruktion und elektrischer Eingangs- und Ausgangsgrößen,
  • ein Trainingsmodell (TrM) für die Kosmonauten, welches im Aufbau und in der Bedienung gleich dem Flugmodell zu sein hatte,
  • ein Flugmodell (FM-1) zum Gebrauch an Bord der Raumstation MIR während der österreichisch-sowjetischen Mission,
  • sowie ein Reservemodell (FM-2) zum Gebrauch an Bord der Raumstation MIR, wenn es Probleme mit oder gar Verlust des Hauptflugmodells (FM-1) geben hätte.

Genauere technische Einzelheiten der Geräte, welche auf der Raumstation MIR eingesetzt wurden, waren mit den sowjetischen Partnern abgestimmt worden. Im Detail wurden folgende Punkte in den technischen Spezifikationen vereinbart: mechanische Konstruktion der Geräte und deren Verpackung, die elektrische und die elektromagnetische Kompatibilität, die elektrischen Bauteile, die mechanische Widerstandsfähigkeit gegen mechanische Einflüsse während des Transports sowie klimatische Faktoren, ionisierende Strahlung und Betriebssicherheit im Einsatz.

Die Abnahme-, Qualifikations- und Übergabeabläufe der Geräte wurden nach folgenden Prinzipien durchgeführt:

  • Test der Einzelkomponenten, Module und der Instrumentierung bei den Herstellern (Herstellertests – HT),
  • Abnahme der einzelnen Apparaturen vom Hersteller mittels spezieller Testabläufe und Übernahme durch das österr. Projektmanagement,
  • Qualifizierung (QT’s) jeder einzelnen Apparatur (TM) im technischen Gesamtablauf,
  • Übergabe- und Übernahmetests (ÜÜT-1 in Österreich und ÜÜT-2 in Moskau) der einzelnen Gerätemodelle an die sowjetischen Partner,
  • Integrationstests und Test der elektrischen Verträglichkeit im 1:1 Bodenmodell der Raumstation MIR (Moskauer Gebiet) und
  • Endkontrolle in Baikonur.

Die folgenden Vorgaben für die Lieferung der einzelnen Einheiten an die sowjetische Seite waren die Basis für die genauere Zeitplanung (T = Missionsstart):

Masse- und Abmessungsmodell (MAM): T -15 Monate
Technologisches Modell (TM): T -9 Monate
Trainingsmodell (TrM): T -9 Monate
Flugmodell (FM-1): T -6 Monate
Reserveflugmodell (FM-2): T -3 Monate
Herstellertests (HT)

Abgesehen vom sogenannten „technologischen Training“ und „technischen Durchlaufbetrieb“, wurde bei den Herstellern nach ihren jeweiligen eigenen Standards geprüft. Die Hersteller waren für die Durchführung dieser Tests und der Dokumentation der Ergebnisse selbst verantwortlich. Unter anderem wurden Tests der Einzelkomponenten, wie Tests der elektronischen Teile, Lebensdauer der mechanischen Teile, etc., Weltraumtauglichkeit der Module, Erhebung der mechanischen Eigenfrequenz und Funktionstests der Apparaturen oder Subsysteme unter verschiedenen Einsatzbedingungen durchgeführt. Während dem unerlässlichen „technologischen Training“ wurden die Geräte einer mechanischen Vibration in einem Frequenzband zwischen 25 und 30 Hz mit einer Belastung von 2 g ausgesetzt. Der „technische Durchlaufbetrieb“ war ein Funktionstest unter Betriebsbedingungen. Seine Dauer sollte nicht mehr als 10% der maximal zulässigen Einsatzdauer der Geräte unter normalen klimatischen Bedingungen sein. Das Ziel dieser Tests war es produktionsbedingte Fehler aufzuspüren und deren Auftreten zu provozieren. Alle funktionsfähigen Einheiten (TM, TrM, FM-1 und FM-2) mussten diesen speziellen Testabläufen unterzogen werden. Die dazugehörige Dokumentation mußte während diesen Tests vorgelegt werden.

Übergabe-/Übernahmetests (ÜÜT)

Die Übergabe-/Übernahme der einzelnen Gerätemodelle wurde in zwei Schritten ausgeführt. Der erste Schritt war der Übergabe- / Übernahmetest in Österreich (ÜÜT-1) in Anwesenheit der Gerätehersteller, der Experimentverantwortlichen, des Projektmanagements und der sowjetischen Experten. Nach den ÜÜT-1 eines Modells übernahm das Projektmanagement die weitere Verantwortung für das Gerät. Der zweite Schritt der Übergabe-/Übernahmetests (ÜÜT-2) wurde nach dem Transport der Einheiten in die Sowjetunion in Moskau durchgeführt. In Anwesenheit des Projektmanagements, der sowjetischen Experten und der Gerätehersteller oder Experimentverantworlichen wurde die Übergabe der Geräteeinheiten an die sowjetischen Partner durch das Unterzeichnen der entsprechende Protokolle und somit die Tauglichkeit der Einheiten für ihren jeweiligen Zweck (Kosmonautentraining, Integrationstests, Komplextests, Gebrauch auf der Raumstation MIR, usw.) bestätigt. Die Übergabe- / Übernahmetests und deren detailierte Durchführung (für ÜÜT-1 bzw. ÜÜT-2) waren in speziellen Übergabe- / Übernahmetestprogrammen festgelegt worden, welche abgestimmt auf jedes einzelne Experimentgerät erstellt wurden. Die Programme beinhalteten im wesentlichen folgende Punkte:

  • Überprüfung auf Vollständigkeit,
  • Überprüfung der technischen Dokumentation auf Vollständigkeit, Form und Inhalt,
  • Nachmessung und Überprüfung der Maße der Geräte und Module wie in den einzelnen Massplänen angegeben,
  • Visuelle Kontrolle der Kennzeichnung der Geräte,
  • Kontrolle der elektrischen Bauteile bezüglich der allgemeinen technischen Daten,
  • Messung des Erdungswiderstandes zwischen den verschiedenen Spannungsversorgungseingängen und dem Gehäuse,
  • Überprüfung der Isolierung zwischen den Spannungsversorgungseingängen und dem Gehäuse durch Anlegen einer Spannung von 100V über einen Zeitraum von 1 Minute wobei der Erdungswiderstand regelmäßig gemessen wurde,
  • Messung des Einschaltstromes bei einer Versorgungsspannung von 23V, 27V und 34V,
  • Messung der Stromaufnahme bei Normalbetrieb und einer Versorgungsspannung von 23V, 27V und 34V,
  • Funktionskontrolle bei einer Versorgungsspannung von 23V, 27V und 34V,
  • Kontrolle der Verpackung,
  • Kontrolle auf medizinischen Eignung der Geräte für die medizinischen Experimente durch Erprobung mit einer Testperson in Anwesenheit der zuständigen Experimentatoren
Die Apparatur MOTOMIR beim Übergabe-/Übernahmetest (ÜÜT-2) in Moskau. Foto: BMBWK, Wien
Qualifikationstests (QT)

Die Weltraumtauglichkeit der einzelnen Apparaturen wurde anhand einer besonderen, s.g. technologischen Einheit (TM) getestet, welche absolut identisch hinsichtlich des Aufbaus und der Funktion mit der letztendlich im Flug verwendeten Einheit (FM) sein mußte. Durch diese Testphilosophie sollte vorzeitige Fehler der Einheit entdeckt und während des Fluges vermieden werden. Zur selben Zeit war es bei Auftreten von Fehlern notwendig herauszufinden, ob die Fehler entweder auf technische Mängel oder Entwicklungsfehler zurückzuführen seien. Alle Testläufe waren in einem von beiden Seiten abgestimmten Qualifikationstestprogramm aufgelistet worden. Die Qualifikationstests (QT’s) wurden unter Verantwortung des österr. Projektmanagements in der Bundesversuchs- und Forschungsanstalt Arsenal (BVFA) in Wien, bei Elin in Wien, beim Institut für Angewandte Systemtechnik der Joanneum Research Forschungsgesellschaft mbH in Graz und dem Institut für Nachrichtentechnik und Wellenausbreitung der Technischen Universität Graz durchgeführt. Wegen dem straffen Zeitplan mußten die verschiedenen Tests vom Projektmanagement gleichzeitig organisiert und durchgeführt werden, was auch einen hohen logistischen Aufwand erforderte.

Die Apparatur DATAMIR beim Qualifikationstest (QT) auf dem Schütteltisch der Firma Elin. Foto: BMBWK, Wien
Klima- und Vakuum-Tests

Um die extremen Temperaturschwankungen während des Transportes von Graz über Moskau nach Baikonur zu simulieren wurden die Einheiten in ihren Transportverpackungen einer Temperaturbelastung von +50°C bis -50°C ausgesetzt. Die Geräte wurden abhängig von ihrer Bruttomasse unterschiedlich lange diesen Temperaturbedingungen ausgesetzt. Die Einheiten wurden, nachdem sie aus der Klimakammer entnommen worden waren, normalen Temperaturbedingungen ausgesetzt und nach einiger Zeit nochmals getestet um ihre korrekte Funktionsweise zu überprüfen.

MIGMAS-A und LOGION in der Klimakammer der Bundesversuchs- und Forschungsanstalt Arsenal (BVFA) in Wien. Foto: BMBWK, Wien

Med. Block I (MON, AUD, OPT + DATAMIR) in der Klimakammer BVFA in Wien. Foto: BMBWK, Wien

Für die Simulation der klimatischen Bedingungen an Bord der Raumstation MIR wurden die Geräte verschiedenen Temperaturen, Luftfeuchtigkeit, Druck und atmosphärischen Bedingungen ausgesetzt. Abhängig von der Masse wurden die Geräte unterschiedlichen Zeiträumen Temperaturen zwischen 0°C und +40°C ausgesetzt, und ihre korrekte Funktion während und nach den Temperaturextremen überprüft. Funktionstests bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 95% und einer Temperatur von +20°C wurden über einen Zeitraum von 3 Tagen durchgeführt, in dessen Ablauf die Geräte nach einem definierten Zeitplan immer wieder Veränderungen der Luftfeuchtigkeit und Temperatur ausgesetzt wurden. Alle technischen Parameter wurden während der Tests laufend überprüft.

DATAMIR und MONIMIR bei Tests in der Vakuum Kammer des Joanneum Research in Graz. Foto: BMBWK, Wien
Mechanische Tests

Die Widerstandsfähigkeit der Geräte gegen mechanische Einflüsse während des Transportes wurde durch halbsinusförmige Erschütterungen mit einer Beschleunigung von 9 g und einer Dauer von 5 – 10 ms getestet. Die Geräte in ihrer Transportverpackung wurden auf einem Vibrationsteststand aufgebaut. Die Einheit wurde mit 2500 dieser Stösse mit einer Frequenz von 1 Hz in der vertikalen, 1750 in der Längsachse und 750 in seitlicher Richtung bewegt. Dann wurden sie vom Vibrationsteststand abgenommen und auf eventuelle mechanische und Funktionsmängel überprüft.

Die mechanischen Belastungsbedingungen während des Fluges wurden in 3 Phasen unterteilt: Belastung während dem Start und dem Andocken (Phase A), während dem Einsatz der Geräte auf der Raumstation (Phase B) und die Belastung während der Landung (Phase C). Alle Belastungstests wurden dreidimensional durchgeführt. Nach jedem Test wurden die Mechanik und Funktionsfähigkeit der Geräte kontrolliert.

Elektrische Tests

Die wissenschaftlichen Geräte wurden während dem Flug mit dem elektrischen System der Raumstation MIR verbunden. Folglich wurde die Höhe der tolerierbaren Störspannung, die von den Geräten produziert wurde einerseits und die Robustheit der Geräte gegen Empfangsstörungen andererseits von Seite der Sowjets vorgegeben.

Um standardisierte Messungen zu ermöglichen, basierte das Ausgleichsnetzwerk des Energieversorgungsystems an Bord auf widerstands-, induktive- und kapazitive Parameter, und jedes Gerät mußte so entwickelt werden, daß es an das Versorgungsnetz der Station angeschlossen werden konnte. Die frequenzselektiven Tests wurden in einer abgeschirmten Kammer durchgeführt. Um die Robustheit der Geräte gegen Beeinträchtigungen zu ermitteln, wurde ein spezieller Testgenerator entwickelt. Dieser Testgenerator konnte die Gleichspannung mit Interferenzspannung mit variabler Frequenz und Amplitude, Impulsen mit variabler Amplitude, Weite und Anstieg und Spannungsschritten von variabler Amplitude und Frequenz überlagern. Um Schäden an den Geräten durch Überspannung zu verhindern, wurde zuerst ein Test mit der jeweiligen Nennspannung der Geräte durchgeführt. Danach wurde der normale Betriebsablauf der Geräte überprüft. Um den umfassenden Testablauf zu beschleunigen und die Genauigkeit der Spannungsanpassung zu verbessern wurde ein computerunterstütztes Test-System entwickelt.

LOGION + KPA bei Elektrischen Tests in der Bundesversuchs- und Forschungsanstalt Arsenal (BVFA) in Wien. Foto: BMBWK, Wien
Weitere Qualifikationstests

Eine hohe Lärmbelastung stellt ein zusätzliches Gesundheitsrisiko dar. Um die Arbeit auf der Raumstation MIR erträglich zu machen, war das Limit für die Lärmbelastung der Geräte bei einem Meter Abstand auf 60dB festgelegt. Alle Geräte die mechanisch bewegliche Teile beinhalteten, wurden deshalb in einem Ton-Studio dahingehend getestet.

Um die Verläßlichkeit der Geräte für eine Einsatzdauer von 300 Stunden zu garantieren, wurde ein Ausdauertest von 483 Stunden unter Normalbedingungen durchgeführt.

Flughardware, die in der bemannten Raumfahrt zum Einsatz kommt, muß bezüglich der Materialauswahl spezielle Kriterien erfüllen. Nicht metallische Teile können in Einzelfällen die Quelle von giftiger Gasentwicklumg sein. Aus diesem Grund dürfen sie nur vorsichtig unter Berücksichtigung ihrer Masse und der Betriebstemperatur eingesetzt werden. Da die sowjetische Seite weder Referenzlisten hinsichtlich der Materialauswahl angeben konnte, noch die gängigen ESA Richtlinien akzeptierte, wurde entschieden dieses Problem mittels eines 3 stufigen Testverfahrens zu lösen. Im ersten Schritt wurde eine Referenzliste für jedes Gerät erstellt, welche Informationen über Typ, Masse, Betriebstemperatur und, soweit möglich, über enstehende Gasbildung der benutzten Materialien enthielt. Diese Referenzlisten wurden für die theoretischen Studien an das Institut für biomedizinische Probleme (IMBP) in Moskau gesandt. Die Ergebnisse der theoretischen Studien bildeten die Ausgangsbasis für die Materialauswahl. In einem zweiten Schritt wurden Proben der kritischen Materialien am IMBP in toxikologischen Untersuchungen überprüft. Der dritte Schritt umfaßte eine toxikologische Sicherheitsüberprüfung der Technologischen Modelle (TM’s) mittels Ausgastests in Moskau. Als Ergebnis dieser Überprüfungen wurde die Unbedenklichkeit des Einsatzes der Geräte auf der Raumstation MIR bescheinigt. Dieser Ausgastest wurde in einer hermetisch abgedichteten Kammer bei einer Temperatur von +40°C und einem Vakuum von 450 mm Hg für einen Zeitraum von 36 Stunden durchgeführt.

Des weiteren mußten alle Geräte, die in den medizinischen Versuchen eingesetzt wurden, weiteren Testreihen hinsichtlich ihrer medizinischen Verträglichkeit unterzogen werden. Eine Versuchsperson mußte das ganze Experiment unter der Aufsicht eines Österreichischen und eines Sowjetischen Mediziners und Technikers durchführen.

Zusätzliche Tests

Das zentrale Computersystem DATAMIR wurde, abgesehen von den Standardtests, zusätzlichen Überprüfungen hinsichtlich der Kombination mit den sowjetischen Telemtriesystemen „BITS“ und „STRELA“, sowie komplexe Tests der Funktion mit den angeschlossenen Geräten und speziellen Software-Tests unterzogen. Die Apparaaturen DATAMIR und MOTOMIR wurden im Bodenmodell der Raumstation MIR auf Kompatibilität mit den Systemen der Raumstation getestet. Alle Geräte mußten in Baikonur vor dem Verstauen in den „Progress M-9“ Raumtransporter einer s.g. Endkontrolle unterzogen werden.

Zusammenfassung

Trotz des enormen Zeitdrucks für die Fertigstellung der Hardware des ersten österreichisch-sowjetischen bemannten Weltraumfluges und den teilweisen Verzögerungen bei Entwicklung und Bau der Apparaturen sowie den Gerätetests wurden alle Geräte planmäßig qualifiziert, in die Sowjetunion geliefert und zur Raumstation MIR gebracht. Nach dem erfolgreichen Testlauf des zentralen Computersystems DATAMIR, der noch von der vorausgehenden Hauptmannschaft an Bord durchgeführt worden ist, arbeitete das System im Einsatz für die wissenschaftlichen Experimente während der Mission perfekt. Alle Apparauren arbeiteten während der gesamten Mission fehlerfrei. Die Meisten verblieben auch danach an Bord und wurden im Rahmen russischer Programme (für die Projekte AUSTROMIR-E und Med-F, sowie den Russischen Langzeitflug „RLF“) sowie der ESA-Missionen EUROMIR-94 und -95 eingesetzt. Einige von ihnen blieben sogar bis zum kontrollierten Wiedereintritt der Raumstation MIR 2001 an Bord von MIR in Verwendung.