Experiment AUDIMIR


Unter normalen Umständen orientiert sich der Mensch im Raum durch das Gleichgewichtsorgan, den Tastsinn, die Augen und die Ohren. Der akustischen Orientierung kommt dabei eher eine untergeordnete Bedeutung zu. Im Zustand der Schwerelosigkeit fehlen die Meldungen von Gleichgewichts- und Tastsinn, daher liegt die Vermutung nahe, daß für einen Raumfahrer neben der optischen die akustische Orientierung von besonderer Bedeutung ist. Bei sogennten EVAs, den Tätigkeiten im freien Weltaum, ist es sogar möglich, daß der Raumfahrer weder das Raumschiff noch die Erde sieht, dann ist überhaupt nur noch die akustische Orientierung möglich. Wenn er dabei über Sprechfunk und Kopfhörer mit anderen Personen kommuniziert, fällt beim Stand der Technik im Jahr 1990 aber die akustische Orientierung aus.

Forschungsziel

Mit AUDIMIR sollten erstmals grundlegende Untersuchungen zur akustischen Orientierung bei Schwerelosigkeit durchgeführt und technische Mittel zur Verbesserung der akustischen Situation erprobt und aufgezeigt werden, ob sich bei Schwerelosigkeit an der Fähigkeit des Richtungshörens etwas ändert, bzw. ob eine erhöhte Bedeutung des akustischen Orientierungsvermögens bei Schwerelosigkeit nachgewiesen werden kann.

Geklärt werden sollte u. a., ob das Orientierungssystem des Menschen auf bestimmte akustische Reize (z. B. eine um den Kopf kreisende Schallquelle) anders reagiert als unter gewohnten irdischen Bedingungen.

Der Umstand des relativ hohen Lärmpegels durch laufende Aggregate in der Raumstation erzwang die Verwendung von Kopfhörern. Dabei gibt es allerdings ein Problem, das jeder Musikhörer kennt: ein Orchester wird nicht im Raum, sondern im Kopf wahrgenommen. Damit ist aber erst recht wieder keine akustische Orientierung möglich. Die bei AKG erarbeiteten Verfahren für die Produktion von Musikaufnahmen und deren Wiedergabe über Kopfhörer ermöglichten neue Erkenntnisse über das räumliche Hören bei akustischen Experimenten im All.

Funktionsweise, Meßprinzip

Mit erheblichem technischen Aufwand wird es möglich, auch im Kopfhörer eine „als ob“-Hörsituation zu erzeugen, in der das räumliche Hören simuliert werden kann. Dazu verformt man die Signale genau so, wie dies beim natürlichen Hören der Fall ist. Auf dem Weg von der Schallquelle zum linken und rechten Trommelfell kommt es, vor allem durch die Geometrie des Kopfes und die Form der Gehörgänge, zu Laufzeitunterschieden, Beugungen und Brechungen der akustischen Welle. Diese Vorgänge sind für jeden Probanten typisch und einmalig. Zur Ermittlung der Charakteristik sind für die Messung im Ohrkanal spezielle Miniaturmikrofone und Meßverfahren nötig. Die Simulationstechnik durch digitale Filter wurde erst in den letzten Jahren möglich.

Auf der Raumstation wurden also die Testsignale in der künstlichen akustischen Umgebung des Kopfhörers erzeugt. Besonders wichtig aber war, daß die Signale in höchster Qualität erzeugt, bearbeitet und wiedergegeben und die Umgebungsgeräusche extrem abgeschirmt werden mußten.

Mitverwendete Apparaturen der österreichischen Nutzlast

DATAMIR, MONIMIR

Ergebnisse

Dem Experiment AUDIMIR lag die Idee zugrunde, die Binauraltechnik für die Raumfahrt nutzbar zu machen. Dabei handelt es sich um eine neue Technologie, mit der das natürliche räumliche Hören über Kopfhörer simuliert werden kann.

Die wichtigste Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz dieses Verfahrens im Weltraum besteht darin, daß der Mensch auch bei Schwerelosigkeit die Fähigkeit beibehält, Schallquellen zu lokalisieren. Dies wurde durch die Ergebnisse des ersten Experimentteiles, bei dem der österreichische Kosmonaut in horizontaler und vertikaler Ebene vorgegebene Schallquellen orten mußte, grundsätzlich bestätigt: Bei Franz Viehbock kam es nur in der Phase der akuten Adaptation an die Schwerelosigkeit zu einer vorübergehenden unbedeutenden Veränderung der Funktion des räumlichen Hörens. Eine signifikante Änderung zeigte sich nur bei der Lokalisation einer unbewegten Schallquelle in der Vertikalebene. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß es in der Vertikalebene keine Wahrnehmungsunterschiede zwischen den beiden Ohren gibt, wodurch die Lokalisationsunschärfe allgemein ungefähr um den Faktor 10 größer ist als in der Horizontalebene. Die im Experiment erzielte Genauigkeit entspricht jedenfalls der aus der Literatur bekannten Fähigkeit des Menschen, Schallquellen in der Vertikalebene zu lokalisieren.

Franz Viehböck bei der Durchführung des Experiments AUDIMIR. Foto: BMBWK, Wien

Die zweite Voraussetzung besteht in der technischen Realisierbarkeit und in der praktischen Anwendbarkeit dieser Technologie in einem Raumschiff. Dieser Punkt wurde durch die erfolgreiche technische Durchführung des Experimentes an sich bestätigt. Der Gerätesatz AUDIMIR funktionierte einwandfrei und erfüllte alle an ihn gestellten Anforderungen.

Franz Viehböck bei der Durchführung des Experiments AUDIMIR. Foto: BMBWK, Wien

Im zweiten Experimentteil wurde erstmals versucht, in Schwerelosigkeit durch audiokinetische Stimulation, in diesem Fall durch die Simulation von um den Kopf kreisenden Schallquellen, ein subjektives Bewegungsgefühl zu erzeugen. Der Versuch gelang: Franz Viehböck hatte sowohl bei Walzerklängen als auch bei der Wahrnehmung des rotierenden weißen Rauschens das Gefühl, sich zu drehen. Es wurden auch die dafür charakteristischen Augenbewegungen registriert.

An der Stärke des Drehgefühls, das durch die audiokinetische Stimulation erzeugt wurde, konnte die Bedeutung der akustischen Orientierung in der Schwerelosigkeit abgelesen werden. Damit wurde erstmals die Beeinflußbarkeit der dynamischen Orientierung durch einen audiokinetischen Reiz nachgewiesen.

Praktische Anwendung
Anwendungsgebiete
  • Binaurale Technik und Technologie
  • Astronautik, Luftfahrt, Arbeit von Operatoren
  • Medizinisch-biologische Grundlagenforschung
  • Klinische Neurologie
  • Räumlich richtige Musikwiedergabe über Kopfhörer
Anwendungsziele
  • Verbesserung der Qualität und Zuverlässigkeit von Kommunikationstechnik
  • Untersuchungen akustischer Wahrnehmungen und deren Wechselwirkungen mit anderen Sinneseingängen
  • Differentielle Diagnostik von räumlichen Gebilden im Gehirn
An der Nutzung der Experimentergebnisse direkt interessierte Institutionen
  • Firma AKG Akustische und Kino-Geräte Ges.m.b.H, Wien
  • Wissenschaftliche und klinische Zentren neurophysiologischer Richtung
Technische Daten

Der Gerätesatz AUDIMIR bestand aus folgenden Einheiten

Elektrischer Prinzipschaltplan des Projekts AUDIMIR. Grafik: BMBWK, Wien
Blockschaltbild des Gerätesatzes AUDIMIR. Grafik: BMBWK, Wien
Elektronikbox (EB AUD) mit Kabel AUD1

Diese Einheit wurde in die Zentraleinheit des Systems DATAMIR eingebaut, das Verbindungskabel zu DATAMIR AUD1 fertig montiert geliefert.

Masse: max. 1,3 kg
Abmessungen: 128 mm x 250 mm x 70 mm
Leistungsaufnahme: 5 W
Elektronikbox des Experiments AUDIMIR. Foto: BMBWK, Wien
Aluminiumcontainer mit Apparaturkomponenten
  • Kopfhörermuscheln AUD
  • Mikrofon AUD
  • Reservesicherungen
Masse: max. 1,6 kg
Abmessungen: 205 mm x 190 mm x 93 mm
Experimentatoren

Dipl.-Ing. Dr. Alexander Persterer (Projektverantwortlicher)
Dr. Martin Opitz
Dipl.-Ing. Christian Koppensteiner
alle: AKG, Akustische- und Kino-Geräte Ges.m.b.H, Wien
Univ.-Doz. Dr. Meinhard Berger (Universitätsklinik für Neurologie, Innsbruck)
Dr. Christian Müller (Neurologische Universitätsklinik Wien)