Experiment MIKROVIB


Bei Tremorphänomenen handelt es sich um eine auch als Mikrovibration bezeichnete spontane Zitterbewegung, die bei allen Warmblütern am ganzen Körper auftritt – Sie stört z. B. beim Durchführen eines Fadens durch ein Nadelöhr. So schwach sie auch sein mag, sie ist bei jeder Bewegung und selbst in Ruhe nachweisbar. Der Wegfall der Schwerkraft bewirkt langfristig eine Umorganisation des Sinnes- und Bewegungsapparates. Studien haben gezeigt, daß es nach einem Raumflug zu einer Zunahme des Tremors kommen kann.

Forschungsziel

Bei vielen Krankheiten wie z. B. dem Parkinsonismus und bei Einnahme von Pharmaka treten starke Veränderungen im Erscheinungsbild des Tremors auf. Durch die Messung dieser geringfügigen Zitterbewegungen können sowohl psychische als auch physische Belastungen des Körpers festgestellt werden. Schließlich spielt der Tremor bei Mensch-Maschine-Systemen, bei denen der Mensch selbst Funktionen eines intelligenten Reglers übernimmt, z. B. beim Steuern von Geräten, eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Die Schwerelosigkeit bietet die Möglichkeit, dieses Phänomen genauer zu untersuchen, da die Stützmotorik des Muskels dabei weniger beansprucht und die Muskulatur insgesamt verändert wird. Im Vergleich mit den Experimenten auf der Erde können bessere Rückschlüsse über die Mikroschwingungen gezogen werden. Gemessen wurde unter bestimmten, genau vorgegebenen Belastungen nach intensivem Training sechsmal vor dem Flug, zweimal während des Flugs und mehrmals nach dem Flug.

Für das Experiment MIKROVIB wurde gemeinsam mit dem Experiment PULSTRANS die Apparatur KYMO, bestehend aus Sensorweste, Datenerfassung und -aufzeichnung und Ergometer, entwickelt.

Funktionsweise, Meßprinzip

Da die Funktion der Arme, Hände und Finger für feinmotorische Tätigkeiten besonders wichtig ist, wurden die Untersuchungen am rechten Unterarm des österreichischen Kosmonauten durchgeführt. Die Aufzeichnung der Zitterbewegung erfolgte dabei mittels zweier empfindlicher Beschleunigungsmesser am Ellbogen und am Armgelenk. Belastungsmessungen wurden durch ein spezielles Hand-Ergometer ermöglicht, das neben den statischen auch die dynamischen Kräfte – etwa den Krafttremor der Hand – erfaßte. Ein begleitendes EKG machte deutlich, welchen Einfluß der Herzschlag auf die Mikrovibrationen ausübte.

Um diese Vorgänge messen zu können, wurden spezielle Sensoren entwickelt, die den verschiedensten Ansprüchen genügen mußten. So sollten sie hochempfindlich und wenig störanfällig sein. Man erwartete, daß sie den Kosmonauten nicht behindern würden, gleichzeitig sollten sie hochflexible und doch reißfeste Kabelanschlüsse haben, möglichst kleine Abmessungen, möglichst geringes Gewicht aufweisen. Zur Erfüllung all dieser Anforderungen wurde eine Sensorweste aus Merinowolle, die Halterungen für die Sensoren waren aus Apfelholz, für die Experimente PULSTRANS und MIKROVIB entwickelt.

Mitverwendete Apparaturen der österreichischen Nutzlast

DATAMIR, KYMO

Ergebnisse

An Bord der Raumstation MIR konnten jene typischen Schwingungen im Frequenzbereich von acht bis zwölf Hertz, die als Ruhetremor oder Mikrovibration bezeichnet werden, nicht registriert werden (Experimentteil RUHE 1/1). Da man weiß, daß das auf der Erde beobachtete Zittern nicht ausschließlich auf mechanische Faktoren zurückzuführen ist, gilt es, ein Erklärungsmodell für die Entstehung des Ruhetremors zu finden. In diesem Modell muß die Aktivität des stützmotorischen Apparates eine wichtige Rolle spielen. Bei der Armstellung „Arm nach vorne ausgestreckt“ (RUHE 1/2) trat zwar Tremor auf, er war aber im Vergleich zu den Referenzuntersuchungen auf der Erde stark reduziert. Dies ist durch die elastische Deformation und den Dehnungszustand der Muskeln zu erklären. Außerdem wurde eine Abnahme des Tremors (Tonus) auch bei Muskeln beobachtet, die nicht Teil der Armmuskulatur, aber für die untersuchte Armstellung von Bedeutung sind. Im Test RUHE 1 wurde unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit eine markante Spitze auf der Frequenz vier bis fünf Hertz registriert, die in Bodenuntersuchungen bisher nicht beobachtet werden konnte. Es wird vermutet, daß diese Schwingungen durch Veränderungen der vom lateralen Abschnitt des Kleinhirns ausgehenden Einflüsse bedingt sind.

Beim Halten von Kraftniveaus mit unterschiedlicher Amplitude (ERGO 2) wurden keine Veränderungen des Krafttremors beobachtet. Beim Halten von 60% der Maximalkraft trat bei der zweiten Fluguntersuchung eine starke Fehlerabweichung auf, was auf raschere Ermüdung unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit hinweist. Im Test ERGO 1, bei dem es um Tremorerscheinungen bei der Ausübung verschiedener Kontrolltätigkeiten ging, trat vor allem bei sinusoidaler Kraftnachführung eine tendenzielle Fehlerzunahme auf. Insgesamt hatte der Kosmonaut allerdings keine Probleme mit der Bewältigung der Aufgabe.

Die Resultate der Untersuchung der Wellenausbreitung bestätigten die Effektivität der angewandten Methode. Die während des Fluges beobachtete Abnahme der Übertragungseigenschaften zeugt von einer Zunahme der viskosen Komponente in den Geweben, d.h. von einer Abnahme der Steifigkeit. Die Ursachen dafür sind vermutlich eher in den Flüssigkeitsverschiebungen zwischen oberen und unteren Körperteilen als in Veränderungen der Muskulatur zu sehen. Die im Experiment gemachten Erfahrungen sollen zu einer weiteren Verbesserung der Untersuchungsmethodik dienen: Geplant wird eine Verringerung des Abstandes zwischen den Sensoren, eine Verkleinerung der Sensoren selbst sowie die Unterbringung der Sensoren und des Vibrostimulators in einem gemeinsamen Gehäuse.

Das Experiment MIKROVIB hat zum ersten Mal die Möglichkeit einer quantitativen Bewertung der Veränderungen der verschiedenen Parameter des Tremors geschaffen.

Praktische Anwendung
Anwendungsgebiete
  • Physiologische Erforschung des Tremors und des motorischen Systems bei Belastung
  • Physiologie und Pathophysiologie
  • Diagnostik und Behandlungskontrolle bei Patienten mit verschiedenen neurologischen Pathologien
  • Arbeitsmedizin
Anwendungsziele
  • Untersuchung der Entstehungsmechanismen der Mikrovibration und des physiologischen Tremors
  • Monitoring psychophysiologischer Parameter bei Streß
  • Diagnostik neurologischer Störungen
  • Kontrolle von Behandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen
  • Prüfung und Monitoring des funktionellen und psychophysiologischen Zustandes von Personen mit verschiedenen Berufen
An der Nutzung der Experimentergebnisse direkt interessierte Institutionen
  • Physiologisches Institut, Universität Graz
  • Institut für Elektro- und Biomedizinische Technik, Technische Universität Graz
  • Institut für biomedizinische Probleme, Moskau
  • Universitätsklinik für Psychiatrie, Graz
  • Universitätsklinik für Neurologie, Innsbruck
  • Institut für Neurologie RAMN, Moskau
  • Zentrum für celebrale Kinderlähmung, Moskau
  • Institut für Sportmedizin, Wien
Technische Daten

Die Apparatur MIKROVIB bestand aus folgenden Einheiten

Elektrischer Prinzipschaltplan des Projektes MIKROVIB. Grafik: BMBWK, Wien
Apparatur KYMO mit Gerät KYMO (links) und Sensorweste KYMO. Foto: Univ.-Prof. Dr. Maximilian Moser, Graz
Aluminiumcontainer mit Schaumstoffauskleidung
  • Gerät KYMO
  • Kabel KYM1 (Spannungsversorgung)
  • Kabel KYM2 (Verbindung KYMO – DATAMIR)
  • Sensorweste mit
    Vibrostimulator
    Akzelerometer (2 Stück)
    Pulssensoren (3 Stück)
    EKG – Kabel
    Vorverstärkereinheit
  • Handergometer
  • Zubehörsets für Experiment MIKROVIB (2 Stück)
  • Kleberinge (3 Stück), Klebeplättchen (6 Stück)
  • Reinigungstücher (2 Stück), EKG – Elektroden (3 Stück)
  • Zubehörsets für Experiment PULSTRANS (2 Stück)
  • Kleberinge (3 Stück), Klebeplättchen (6 Stück)
  • Reinigungstücher (2 Stück), EKG – Elektroden (3 Stück)
  • Zubehörsets für Experiment SCHLAF (2 Stück)
  • Kleberinge (3 Stück), Klebeplättchen (6 Stück)
  • Reinigungstücher (2 Stück), EKG – Elektroden (3 Stück)
  • Befestigungsvorrichtungen für Pulssensoren (3 Stück)
  • Klebestreifen zur Befestigung von Vibrostimulator
  • Schablone zur standardisierten Befestigung von
  • Vibrostimulator und Akzelerometer auf der Haut der Versuchsperson
  • Reservesicherungen
Masse: max. 6,2 kg
Abmessungen 350 mm x 350 mm x 140 mm
Leistungsaufnahme: max. 35 W
Experimentatoren

o. Univ.-Prof. Dr. Thomas Kenner (Institutsvorstand)
Dipl.-Ing. Dr. Eugen Gallasch (Projektverantwortlicher)
Univ.-Doz. Dr. Maximillian Moser
Josef Hindinger
Herbert Eder
Bernhard Wronski
Kurt Maaß
Kurt Ansperger
Dipl.-Ing. Dr. Gerhard Wießpeiner
Univ.-Prof. Dr. Gerhard Pfurtscheller
alle: Physiologisches Institut der Universität Graz