Experiment DOSIMIR


Im Weltraum sind Mensch und Material sowohl Teilchenstrahlung als auch elektromagnetischer ionisierender Strahlung ausgesetzt. Welche Wirkung diese Strahlung auf das durchdrungene Material hat, hängt einerseits von der insgesamt absorbierten Energie ab, andererseits von der linearen Energieübertragung. Dieser „lineare energy transfer“ (LET) gibt Auskunft, wieviel Energie ein Teilchen pro Mikrometer Wegstrecke an das durchdrungene Material abgibt. Strahlen mit unterschiedlichem LET zeigen auch unterschiedliche biologische Wirkung.

Auf der Erde sind die Werte dafür bekannt. Im Weltall, auch diesbezüglich ein extrem menschenfeindliches Milieu aufweist, ist die Strahlung völlig anders zusammengesetzt, und noch unbekannt. Effektiver Strahlenschutz wird unter solchen Umständen zu einer überlebensfrage.

Schwere Teilchenstrahlung kann außerdem auch die Elektronik an Bord von Raumfahrzeugen zerstören. Eine Grundregel für weltraumtaugliche Elektronik lautet denn auch, die Chips nicht zu eng anzuordnen.

Forschungsziel

Ein einziges Gerät für beide Strahlenarten würde die Messung vereinfachen und sowohl Zeit wie auch Raum und Gewicht sparen. Ein Verfahren soll entwickelt werden, mit dessen Hilfe man mit Thermolumineszenzdosimetern (TDL) auch Informationen über das LET-Spektrum erhalten kann. Das würde bedeuten, daß mit einem einzigen Dosimetertyp, der noch dazu sehr klein und darüberhinaus leicht auszuwerten ist, sämtliche Strahlungsarten erfaßt und quantitative Aussagen über die Dosisbeiträge der einzelnen Strahlenarten in gemischten Strahlungsfeldern gemacht werden können.

Mit dem neuen Dosimetertyp werden der Reaktor- und der medizinischen Dosimetrie neue Möglichkeiten eröffnet. Denn auch auf Erden ist die Möglichkeit bestechend, mit nur einem Dosimetertyp quantitative Aussagen über die Zusammensetzung gemischter Strahlenquellen treffen zu können.

Funktionsweise, Meßprinzip

Für das Experiment DOSIMIR wurde ein spezielles Dosimetermaterial entwickelt hergestellt. Es sind Lithiumfluorid-Einkristalle, mit Aktivatoren aus Titan und Magnesium. Wird ein derartiger Kristall ionisierender Strahlung ausgesetzt, so wird die Information über die in ihm absorbierte Energiedosis im Kristallgitter in Form von potentieller Energie gespeichert. Beim Auswerten werden diese Kristalle auf etwa 300 °C erhitzt. Dabei geben sie die gespeicherte Energie in Form von Licht ab, das (mit einem Photomultiplier) gemessen wird. Die Lichtintensität wird in Abhängigkeit von der Temperatur aufgezeichnet, wobei die entsprechende Kurve ein Maß für die im Dosimeter absorbierte Strahlenmenge abgibt.

Auf der Raumstation MIR wurden 140 Dosimeter unterschiedlicher Varianten in einem Paket plaziert. 23 Kernspurfilme dienten für Vergleichsmessungen. Ein Dosimeterpaket (DOSIMIR Nr. 5) wurde bereits am 18. Mai 1991 zur Raumstation transportiert und im Aufenthaltsraum der Kosmonauten befestigt. Das zweite Paket (DOSIMIR Nr. 7) brachte der österreichische Kosmonaut im Oktober 1991 mit. Am Ende der Mission wurden beide Dosimeterpakete zur Erde gebracht und dort mit den auf der Erde verbliebenen Dosimetern (DOSIMIR Nr. 6 und 8) verglichen.

Ergebnisse

Die Auswertung des Flugpaketes DOSIMIR Nr. 7 und des Referenzpaketes DOSIMIR Nr. 5 ergab eine hohe Genauigkeit der Meßwerte. Dies betraf sowohl die Dosimeter ein und desselben Typs als auch die von verschiedenen Dosimetermaterialien registrierten Meßwerte. Die Energiedosis beträgt nach Auswertung der österreichischen Dosimeter 1,64 + 0.02 mGy im Gewebe, die russischen Werte zeigen nur geringe Abweichungen. Auch die Auswertung von russischen LiF-Dosimetern im Atominstitut brachte ein ähnliches Ergebnis. Die Ergebnisse der TLD-200 (CaF2) zeigen im Gegensatz zu den LiF-Dosimetern einen leichten Dosisgradienten in Richtung Mitte des Pakets, was auf einen kleinen Anteil von niederenergetischer Bremsstrahlung im Strahlenfeld der Raumstation schließen läßt.

Die Flugpakete DOSIMIR Nr. 7 (oben) und Nr. 5 (unten) an Bord der Raumstation MIR. Foto: BMBWK, Wien

Eine Analyse der Glowkurven der auf MIR exponierten LiF-Dosimeter zeigt eine signifikante Erhöhung des Hochtemperaturbereichs im Vergleich zur Kalibrierung mit CO-60 Strahlung. Diese Erhöhung entspricht einem Strahlungsfeld mit einem LET von ungefähr 7 keV/micron. Nach der ICRP 26 ist ein solches Feld mit einem Qualitätsfaktor von 1,9 zu belegen. Berechnet man die äquivalentdosis während des sowjetisch-österreichischen Fluges mit diesem Qualitätsfaktor, so beträgt die persönliche äquivalentdosis des österreichischen Kosmonauten 3,11 mSv. Im Rahmen der französisch-sowjetischen Mission 1989 war mit einem komplexen, aktiven System der gleiche Qualitätsfaktor gemessen worden.

In der Folge wurden die Glowkurven entfaltet, um die LET-Abhängigkeit von einzelnen Hochtemperaturpeaks zu quantifizieren. Mit diesen Entfaltungen erhält man genauere Ergebnisse. Auch die Methode des Phototransfers wurde angewendet, und es zeigte sich, daß die Ausbeute des Phototransfers nach der Bestrahlung mit niedrigem LET größer als nach der Bestrahlung in einem Feld mit hohem LET ist. Die LET-Ergebnisse, die mittels Phototransfer gemessen wurden, stimmen gut mit den anderen Ergebnissen überein.

Die Ergebnisse des Experimentes DOSIMIR bestätigen, daß es möglich ist, die traditionelle Thermolumineszenzdosimetrie zu erweitern und neben der Information über die absorbierte Energie auch Information über den mittleren LET der absorbierten Strahlung zu erhalten. Für die Zukunft haben sich die Experimentatoren die Aufgabe gestellt, alternative Methoden wie z.B. Phototransfer, Filter-Techniken und die Messung des Emissionsspektrums des TL-Lichtes weiter zu entwickeln. Damit sollte es gelingen, nach der Exposition in einem komplexen gemischten Strahlungsfeld zwischen verschiedenen Arten von Strahlung und ihrem unterschiedlichen LET zu unterscheiden. Die entwickelte Methode wurde bereits zur Strahlungsmessung in Flugzeugen verwendet, und es erwies sich als möglich, neben der Energiedosis auch die Dosisbeiträge von Neutronen und schwergeladenen Teilchen zu bestimmen.

Praktische Anwendung
Anwendungsgebiete
  • Weltraumdosimetrie der Strahlungseinwirkung
  • Strahlungsökologie, Strahlungskontrolle in Betrieben
Anwendungsziele
  • Bestimmung der biologisch relevanten äquivalentdosis in gemischten Strahlungsfeldern
  • Strahlungssicherheit der beruflichen Tätigkeit von Menschen und Menschengruppen
An der Nutzung der Experimentergebnisse direkt interessierte Institutionen
  • Atominstitut der österreichischen Universitäten, Wien
  • Institut für biomedizinische Probleme, Moskau
  • Wissenschaftliche Zentren und Strahlungssicherheitsdienste
Technische Daten

DOSIMIR bestand aus folgenden Einheiten

Dosimeterpaket DOSIMIR
  • Kunststoffbehälter
  • Stoffhülle
  • 140 österreichische Thermolumineszenz-Dosimeterkristalle
  • 60 sowjetische Thermolumineszenz-Dosimeterkristalle
  • 23 Kernspurfolien
Masse: 0,12 kg
Abmessungen: 75 mm x 50 mm x 30 mm

Am eigentlichen Experiment waren folgende Dosimeterpakete beteiligt

Dosimeterpaket Nr. 5

Start am 18. Mai 1991 mit dem Raumtransporter Sojus TM-12
Rücktransport am 10. Oktober 1991 mit der Landekapsel des Raumtransporters Sojus TM-12

Dosimeterpaket Nr. 7

Start am 2. Oktober 1991 mit dem Raumtransporter Sojus TM-13
Rücktransport am 10. Oktober 1991 mit der Landekapsel des Raumtransporters Sojus TM-12

Dosimeterpakete Nr. 6 & Nr. 8

Referenzmessungen am Boden

Experimentatoren

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Norbert Vana (Projektverantwortlicher)
Dipl.-Ing. Wolfgang Schöner
Univ.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. Helmut Böck
Dipl.-Ing. Rudolf Erlach
alle: Atominstitut der österreichischen Universitäten, Wien